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Ein Stück Heimat in der Fremde: Aushandlungsprozesse von "Fremde" am Münchner Hauptbahnhof

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Ein Stück Heimat in der Fremde: Aushandlungsprozesse von "Fremde" am Münchner Hauptbahnhof

Quellen

Münchner Ausländerbeirat über den Hauptbahnhof (1976)

In der Diskussion um den Hauptbahnhof als Treffpunkt hielt der Münchner Ausländerbeirat 1976 folgendes fest:

„Das Treffen auf öffentlichen Plätzen stellt für einen großen Teil der Ausländer eine traditionelle Freizeitgewohnheit aus der Heimat dar. Die auf Straßen, Plätzen oder im Bahnhof vorhandene bzw. herstellbare Öffentlichkeit bedeutet eine ganz spezifische Selbstdarstellungs- und Begegnungsform. Der Bahnhof ist zwar nur ein höchst unzureichender Ersatz, er erfüllt jedoch für einige Ausländer wenigstens zum Teil die aus der Heimat gewohnten Eigenschaften für einen Treffpunkt: gute Erreichbarkeit, hohe Kontaktwahrscheinlichkeit, Unverbindlichkeit und Vielfältigkeit der möglichen Kontakte, Interessantheit, Wetterschutz.“

(„Antrag Nr. 34, Beschluss des Münchner Ausländerbeirats vom 24. Juni 1976.“ In: Ausländerbeirat der Landeshauptstadt München (Hrsg.). März 1974 - April 1978, Anlage 1: S. 5.)

Takis P. über den Hauptbahnhof (1997)

Takis P. aus Griechenland, der 1965 nach München gezogen war, äußerte 1997 über den Hauptbahnhof:

„Ich gehe noch immer gerne zum Hauptbahnhof und stehe dort an dem Gleis, wo die Züge nach Griechenland abfahren. Dann stelle ich mir vor, das ist wie eine Nabelschnur nach Griechenland.“

(Takis P. „Interview am 17.12.1997“, abgedruckt in: Dunkel, Franziska und Gabriella Stramaglia-Faggion. ‚Für 50 Mark einen Italiener‘: Zur Geschichte der Gastarbeiter in München. Hrsg. vom Kulturreferat der Landeshauptstadt München. München 2000: S. 210.)

Literaturhinweise

Baumeister, Martin. „Italien: Ankommen, um zurückzukehren?: Italienische Arbeitsmigranten im Nachkriegsbayern.“ In: Alois Schmid und Katharina Weigand (Hrsg.). Bayern mitten in Europa: Vom Frühmittelalter bis ins 20. Jahrhundert. München 2005: 402–418.

Dunkel, Franziska und Gabriella Stramaglia-Faggion. ‚Für 50 Mark einen Italiener‘: Zur Geschichte der Gastarbeiter in München. Hrsg. vom Kulturreferat der Landeshauptstadt München. München 2000.

Egger, Simone. ‚München wird moderner‘: Stadt und Atmosphäre in den langen 1960er Jahren. Diss., München. Bielefeld 2013.

Goddar, Jeannette und Dorte Huneke (Hrsg.). Auf Zeit / Für immer: Zuwanderer aus der Türkei erinnern sich: Ein Projekt der Bundeszentrale für politische Bildung und des KulturForums TürkeiDeutschland e.V. (Schriftenreihe 1183). Bonn 2011.

Stankiewitz, Karl. Minderheiten in München: Zuwanderung, Ausgrenzung, Integration – vom Mittelalter bis zur Gegenwart (Kleine Münchner Geschichten). Regensburg 2015.

Verbindungen zu anderen Stationen

Ankunft an Gleis 11: GastarbeiterInnen in München – Diese Station erklärt, wo die GastarbeiterInnen ankamen, die später immer wieder zum Münchner Hauptbahnhof zurückkehren sollten.

Lokales Exportgut: Löwenbräus Exportbier – Wenn Sie wissen wollen, warum der Löwenbräukeller mehr war als ein lokaler Veranstaltungsort, gehen Sie zu dieser Station.

Stationstext zum Nachlesen

„Die Gastarbeiter kommen vor allem am Wochenende in hellen Scharen aus ganz Bayern nach München. Sie fahren in die Landeshauptstadt, um hier eine Zeitung in ihrer Sprache zu bekommen und Landsleute aus der Heimat zu treffen. […] Viele Griechen bevorzugen den Hauptbahnhof, weil er für sie der einzige Ort ist, in dem sie süße Milch in Form von Milchmixgetränken bekommen.“

So beschrieb der Münchner Merkur unter dem Titel „Sie machen den Bahnhof zum Basar“ 1966 die Situation am Münchner Hauptbahnhof. Damals lud hier die Milchstube zu einem Getränk ein und so wurde der Bahnhof in den 1960er Jahren zu einem beliebten Treffpunkt von Immigrantinnen und Immigranten in München. Viele von ihnen waren als sogenannte „Gastarbeiter“ nach München gekommen. Die Alteingesessenen betrachteten die Entwicklungen am Hauptbahnhof mit Argwohn. Bald war von der „Balkanisierung“ des Hauptbahnhofs die Rede.


Wo Menschen migrieren, stoßen verschiedene Kulturen und Sprachen aufeinander. Die Unterschiede zwischen „Heimat“ und „Fremde“ bestimmen die Wahrnehmung der Menschen auf beiden Seiten.

In ihrem Artikel “Wenn der Giorgio Feierabend macht” in der Süddeutschen Zeitung versuchte Marina Handloser 1969 zu beschreiben, warum sich die Zugezogenen am Hauptbahnhof versammelten:

„‚O sole mio‘, knödelt ein schwarzgelockter Italiener in der Münchner Bahnhofshalle, eine griechische Gruppe klatscht und pfeift den Rhythmus einer Surtaki-Melodie, einige Spanier lesen die neuesten Zeitungen aus ihrer Heimat und politisieren heftig. Hier fühlen sie sich heimisch, die Bahnhofshalle ersetzt die italienische Piazza oder die spanische Plaza“.

Auch wenn sie in München und Umgebung lebten und arbeiteten, fiel es einigen Immigrantinnen und Immigranten schwer, in der bayerischen Hauptstadt heimisch zu werden. Sprache, Sitten und Bräuche waren ihnen fremd. Die gesüßte Milch und die Landsleute am Hauptbahnhof dagegen erinnerten sie an ihre Heimat. Ihre Sprache, ihre Sitten wiederum waren den alteingesessenen Münchnerinnen und Münchnern fremd. So mancher fürchtete das Fremde und sah es als Bedrohung für die eigene Kultur und die eigenen Gewohnheiten.

Die Angst vor dem Fremden war in der schon lange international vernetzten Stadt München nicht neu. Bereits im frühen 18. Jahrhundert soll der am Hoftheater engagierte Komponist und Sänger Filippo Balatri geäußert haben: „Die hiesige Ausländerfeindlichkeit sucht ihresgleichen. Obwohl die halbe Stadt von Italienern erbaut wurde, empfinden die Münchner keine Sympathie für Fremde, sondern behaupten, man fräße ihnen das Brot weg.“

Die so kritisch beäugte Situation am Hauptbahnhof änderte sich, als zunehmend alternative Versammlungsorte geschaffen wurden: das Griechische Haus im Westend, ein Clubheim für spanische Gastarbeiter südlich des Hauptbahnhofs, sowie das Internationale Beratungszentrum in der Goethestraße. Zugleich wurden Italien, Griechenland, Bulgarien und die Türkei zunehmend zu beliebten Urlaubsländern bei reisefreudigen Bayern. Das Fremde wurde vertrauter.


Seit 1962 bezeichnet München sich als „Weltstadt mit Herz“. So versucht sich die bayerische Landeshauptstadt im Spannungsfeld der Globalisierung zurechtzufinden. Menschen und Waren werden zunehmend mobil und kulturelle Einflüsse aus aller Welt bewegen sich mit ihnen. Die Stadt und ihre Menschen wollen modern und weltoffen sein, ohne ihre lokalspezifischen Kulturmerkmale zu verlieren. Während Fremdenfeindlichkeit ein Problem bleibt, gelingt dieser Spagat an vielen Stellen gut. Man denke nur an das Oktoberfest, das jedes Jahr Millionen Besucher aus dem In- und Ausland anzieht. Fast schon symbolisch wirkt aber auch die 1975 zum ersten Mal organisierte Feier zum „Tag der ausländischen Mitbürger“: Sie fand im Löwenbräukeller statt – eine zünftige Feier mit Münchner Bier.


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