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Bayerische "China-Krieger': Die Max-II-Kaserne und die Boxerkriege

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Bayerische "China-Krieger': Die Max-II-Kaserne und die Boxerkriege

Quellen

Ausschnitte aus dem Zeitungsartikel „Die Abreise der China-Freiwilligen“ (München, 3. August 1900)

„Um Mitternacht ward es um die Max II.-Kaserne lebendig. Hinter den erleuchteten Fenstern sah man geschäftig Gestalten hin- und herhuschen, während drunten auf der Straße immer mehr Volk sich ansammelte. Von allen Seiten kamen Leute auf den sonst todtenstillen Platz. Radfahrer, deren Laternen von Weitem großen Glühwürmern glichen, mischten sich in das Gedränge, Droschken und Privat-Fuhrwerke desgleichen. All das schob und drängte sich in dem Halbdunkel geräuschvoll durcheinander. […] Ein ‚Herstellt Euch!‘ – kurze Kommandorufe, und das Bataillon schwenkt gegen ½ 1 Uhr in Marschkolonne ab.“

„Alle Gasthäuser, die an der Marschstrecke lagen, waren dicht von Gästen besetzt. Ueberall auf den Straßen, die sonst wie ausgestorben sind, regstes Leben! Männer, Frauen und Kinder, Alte und Junge waren auf den Beinen, ja, einige Familien führten ihre jüngsten Sprossen im Kinderwägelchen mit sich. Kehrten auch Viele wieder um, nachdem die Kolonne an ihnen vorbeidefilirt war, Andere kamen aus anderen Straßen neu hinzu.“

„Der Abschied des großen Publikums von den China-Freiwilligen vollzog sich vor dem Laimer Durchfahrtstunnel. Auf den Dämmen, die zur Linken und Rechten der hier sich senkenden Straße sich erheben, hatten Hunderte sich gelagert, um von einem ‚höheren Standpunkte aus‘ das militärische Schauspiel betrachten zu können. Es war das ein malerisches Bild, als zwischen den jubelnden Massen, beleuchtet von den Reflexen der elektrischen Bahnhoflichter, die Truppe in diese hohle Gasse einzog.“

„Auf dem Bahnsteig hatte sich eine große Menschenmenge angesammelt, denn von der Kommandantur waren an 1300 Eintrittskarten ausgegeben worden, ungerechnet die Offiziere, die vielfach mit ihren Damen erschienen waren. […] Durch die hier angestaute Menschengasse – der Zuschauer waren für den vorhanden Raum fast zu viel – marschierten die Mannschaften gleich zu dem bereitstehenden langen Zuge von etwa vierzig Wagen, denen eine schwere Güterzugmaschine vorgespannt war. Der Train fährt mit Postzugsgeschwindigkeit und durchmißt 45 Kilometer in der Stunde. Ohne Kommando, ohne Signal war das Einsteigen rasch und ordungsgemäß bethätigt worden, und die Mannschaften richteten sich in den großen neuen, mit Gas beleuchteten Amerikanerwagen häuslich ein.“

„Es gab noch manche bewegte Szene und kurzen Abschied, denn allzu viel Zeit war nicht gegeben. Hier küßt ein Vater seinen Sohn. ‚Also leb‘ wohl, bleib‘ gesund und schreib‘ bald!‘ sind die Worte des Bewegten. Da wird nach diesem oder jenem Namen gefragt und mehr als eine fliehende Seele kann im Gedränge den Gewünschten nicht mehr finden; sie sehen ja alle in der braunen Uniform und mit den braunen Gesichtern so einheitlich aus, daß es schwer ist, schnell einen Bestimmten herauszufinden. Viele tragen noch ein Sträußchen, das ihnen die Liebste gegeben – denn die holde Weiblichkeit spielt bei dem Abschiednehmen eine große Rolle. Dort wischt ein Chinakrieger sich mit dem blauen Schnupftuch ein paar Thränen aus den Augen; ihn hat’s gepackt: ‚Abschied, Abschied, böse Stunde, wer hat Dich zuerst ersonnen?‘ Die Meisten aber sind guter Dinge. ‚Wir sind froh, daß wir endlich fortkommen.‘“

„Als nach den lauten Rufen: ‚Obacht, Vorsicht, der Zug geht ab!‘ dieser langsam, kaum merklich anfahrend, sich in Bewegung setzte, da erhob sich ein Sturm von Hoch- und Hurrahrufen, wie ich nie Aehnliches gehört. Kein männliches Haupt blieb bedeckt, alle Hüte wurden in die Höhe gehoben, Hüte, Arme, Helme und Mützen bildeten einen Wald, durch den hindurch man dem ausfahrenden Zug nicht mehr nachsehen konnte.“

„Als der Zug im Dunkel der Nacht verschwunden war, legten sich die Wogen der Begeisterung. Die Menschenmasse fluthete nun die Steintreppen hinab durch den Durchgangstunnel und im Augenblick waren die zur Heimfahrt bereit stehenden Vorortzüge erstürmt und vollbesetzt. Jeder der vielen Hunderte von Passagieren begleitete wohl im Geiste noch die China-Freiwilligen, die hinausziehen über’s Weltmeer, für Deutschlands Ehre und für Deutschlands Interessen in dem großen Wettstreit der Völker zu kämpfen.“

(R., H. „Die Abreise der Chinafreiwilligen” In: Münchner Neuste Nachrichten 358 (04.08.1900): S. 2f.)

Die Hunnenrede von Kaiser Wilhelm II.

Bei der Verabschiedung des „Ostasiatische Expeditionskorps“ in Bremerhaven hielt Kaiser Wilhelm II. eine als „Hunnenrede“ berühmt gewordene Ansprache. Hier ein Auszug:

„Pardon wird nicht gegeben; Gefangene nicht gemacht. Wer Euch in die Hände fällt, sei in Eurer Hand. Wie vor tausend Jahren die Hunnen unter ihrem König Etzel sich einen Namen gemacht, der sie noch jetzt in der Überlieferung gewaltig erscheinen läßt, so möge der Name Deutschland in China in einer solchen Weise bekannt werden, daß niemals wieder ein Chinese es wagt, etwa einen Deutschen auch nur scheel anzusehen.“

(Kaiser Wilhelm II., 27. Juli 1900 in Bremerhaven; zit. n. Speitkamp, Winfried. Deutsche Kolonialgeschichte. Stuttgart 2005, S. 37.)

Literaturhinweise

Gstettenbauer, Erich. „Der Einsatz Bayerischer Soldaten im Rahmen des Expeditionskorps zur Niederschlagung des Boxeraufstandes in China 1900/1901.“ In: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 57 (1994): 787–814.

Herold, Heiko. Deutsche Kolonial- und Wirtschaftspolitik in China 1840 bis 1914: Unter besonderer Berücksichtigung der Marinekolonie Kiautschou. 2. verb. und erw. Aufl. Köln 2006.

Klein, Thoralf. „Straffeldzug im Namen der Zivilisation: Der ‚Boxerkrieg‘ in China (1900-1901).“ In: Ders. und Schumacher, Frank (Hrsg.). Kolonialkriege: Militärische Gewalt im Zeichen des Imperialismus. Hamburg 2006: 145–181.

Speitkamp, Winfried. Deutsche Kolonialgeschichte. Stuttgart 2005.

Wünsche, Dietlind. Feldpostbriefe aus China: Wahrnehmungs- und Deutungsmuster deutscher Soldaten zur Zeit des Boxeraufstandes 1900/1901. Berlin 2008.

Verbindungen zu anderen Stationen

Lokales Exportgut: Löwenbräus Exportbier – Dass die „Chinakrieger“ nicht auf ihr Heimatgetränk verzichten mussten, zeigt diese Station.

Kulturen entdecken und vermitteln: Das Museum Fünf Kontinente – Diese Station erörtert einen weiteren Aspekt der europäischen Kolonialzeit.

Stationstext zum Nachlesen

In der Nacht auf den 3. August 1900 war östlich der Dachauer Straße an Schlafen nicht zu denken. Menschenmassen säumten die Straßen, beschienen die Wege mit Laternen, ein Feuerwerk wurde gezündet. Die Stadt verabschiedete ihre „Chinakrieger“.

Hier, wo damals die Maximilian-II-Kaserne stand, waren im Sommer 1900 bayerische Soldaten zusammengezogen worden, die sich für das „Ostasiatische Expeditionskorps" gemeldet hatten. Von der Kaserne aus wurden die Soldaten vom Laimer Bahnhof über Bremerhaven nach China geschickt. Heute erinnert der Obelisk, vor dem Sie stehen, an die Kaserne entlang der Leonrodstraße – damals die „Kasernenstraße“. Andere Straßennamen lassen die ehemalige Funktion des Gebiets noch immer erkennen: Lazarettstraße, Artilleriestraße, Funkerstraße.

Im Sommer 1900 sahen sich die jungen Soldaten zu einem Abenteuer in ein exotisches Land aufbrechen. Ihre Reise aber wurde zu einer brutalen Strafexpedition, in denen rassistische Vorurteile und imperiale Abhängigkeiten verfestigt wurden.

Wie kam es überhaupt dazu, dass bayerische Soldaten nach China entsandt wurden?


Seit den 1840er Jahren sicherten sich europäische Mächte und die USA durch die sogenannten „Ungleichen Verträge“ einen privilegierten Wirtschaftszugang zum riesigen chinesischen Markt.

Das Deutsche Reich hatte 1897 die nordchinesische Bucht von Kiautschou besetzt und die Region formal für 99 Jahre gepachtet. Dieser Schritt war Teil eines imperialen Wettlaufs der europäischen Mächte, in dem jeder Staat versuchte, seine Machtposition strategisch auszubauen und zu festigen. Zur gleichen Zeit verschlechterte sich die ökonomische Situation der ländlichen chinesischen Bevölkerung durch Bevölkerungsanstieg, Naturkatastrophen und den Import ausländischer Produkte. Viele Menschen schlossen sich den sogenannten „Boxern“ an, einer Geheimgesellschaft, die sich zunehmend gegen den wirtschaftlichen Einfluss der Imperialmächte und die christlichen Missionierungsversuche stellte – zum Teil mit brutaler Gewalt. Um ihre Gesandten und ihre wirtschaftlichen Interessen zu schützen, schlossen sich die konkurrierenden Imperialmächte zusammen und sandten Militärverbände nach China. Nach anfänglicher Zurückhaltung stellte sich die chinesische Zentralregierung nun auf die Seite der Boxerbewegung.

In Deutschland wurden rund 20 000 Freiwillige rekrutiert. Noch vor dem Eintreffen der deutschen Truppen war der militärische Sieg allerdings errungen und die chinesische Regierung hatte sich gegen die Boxer gewandt. Unter dem deutschen Oberbefehlshaber Graf von Waldersee unternahmen die Truppen nun sogenannte „Strafexpeditionen“, rücksichtslose Vergeltungsaktionen gegen die chinesische Bevölkerung. Die europäischen Mächte wollten ihren Einfluss durch Abschreckung langfristig sichern. Die Quellen sprechen von Plünderungen, Mord und Vergewaltigungen.


Der Boxerkrieg war nur einer von zahlreichen Kolonialkriegen, die in Amerika, Asien und Afrika ausgetragen wurden. Ihr Ziel war die Unterwerfung der lokalen Regierung und Bevölkerung unter die Herrschaft fremder Mächte oder die Öffnung lokaler Märkte für europäische Wirtschaftsinteressen. Die Kriege und ihre Folgen prägen die Gesellschaften bis heute. Obwohl die deutsche Kolonialvergangenheit weit weniger im kollektiven Gedächtnis verankert ist als etwa die Großbritanniens oder Frankreichs, ist sie im Münchner Stadtbild bis heute präsent. Beispielsweise ist die Iltisstraße in Trudering nicht nach dem gleichnamigen Tier, sondern nach SMS Iltis benannt, einem Kanonenboot der Kaiserlichen Marine, das auch im Boxerkrieg zum Einsatz kam.


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