Hörszenen zur Alltagsgeschichte Hamburgs rund um das Mahnmal St. Nikolai zur Permanenz von Gewalt, Ausgrenzung und Diskriminierung in Kriegs- und Friedenszeiten
An der vom Straßenlärm umtosten Willy-Brandt-Straße (bis 2005 Ost-West-Straße) in Hamburg steht die Ruine der St. Nikolai-Kirche, die uns heute als Mahnmal für die Opfer von Krieg und Verfolgung dient.
Auch wenn die St. Nikolai-Kirche ein Mahnmal gegen den Krieg ist, so sollen diese Hörszenen das Bewusstsein dafür schärfen, wie schmal die Grenze zwischen Krieg und Frieden sein kann, wie viel Gewalt auch Friedenszeiten bestimmt. Das beginnt schon mit dem Verhältnis der Geschlechter untereinander und zeigt sich u. a. auch bei Menschen, die scheinbar “anders” sind, den Gesetzen der Moral nicht entsprechen oder aus Armut am “Rand der Gesellschaft” leben.
Der Turm und die Ruine von St. Nikolai sind ein Wegzeichen, das uns erinnern will an Ereignisse, deren Ursachen Zerstörung, Krieg, Unmenschlichkeit, Ausgrenzung und Diskriminierung waren. Gleichzeitig will uns St. Nikolai Mahnung sein, sorgsam, tolerant und human miteinander umzugehen.
In diesem Sinne sind die Motive für die Hörszenen dieser Tour ausgewählt worden. Sie spielen in verschiedenen zeitlichen Epochen. Die Themen so mancher Szenen sind aber auch heute noch von Aktualität.
Die Geschichte der Kirche ist ein Stück Stadtgeschichte und damit ebenso Alltagsgeschichte der Menschen in Hamburg. Die Kirche ist der Ort der Gemeinde, das Zentrum des Kirchspiels, in dem die Gefühle, Gedanken, und auch politischen und humanitären Einstellungen und Verhaltensweisen von Menschen zu spüren sind.
Diese Tour basiert auf einer szenischen Aufführung, die im Sommer 2010 mit den Schauspielerinnen und Schauspielern Thomas Karallus, Beate Kiupel, Herma Koehn und Dieter Schmitt sowie Rita Bake als Moderatorin und Verfasserin der Texte im Mahnmal St. Nikolai mehrmals durchgeführt wurde.
Bei den einzelnen Stationen sind Abbildungen von der szenischen Aufführung zu sehen. Die Kostüme der Darstellenden wurden freundlicherweise vom Ohnsorg Theater gestellt.
Idee, Text, Moderation: Rita Bake
Darstellende: Thomas Karallus, Beate Kiupel, Herma Koehn, Dieter Schmitt
Automatisches Spiel (Stundenmelodie) des Carillon im Mahnmal der St. Nikolai-Kirche
Einführung: Rita Bake
“Alle Frauen und Jungfrauen sind nach unserem Stadt-Rechte unmündig gehalten.”
(Hamburger Stadtrecht von 1603)
Gespräch zwischen einem Ratsherren und einem Pastoren
Darstellende:
Dieter Schmitt: Ratsherr
Thomas Karallus: Pastor
Herma Koehn: eine Frau aus dem Volk
“Da ist nicht Mann und Frau, denn Ihr alle seid einer in Christus Jesus” (Gal 3, 28b)
Gespräch zwischen einem Pastoren, einem Ratsherrn und der Handwerkerehefrau Maria Hülsemann (1581 - 1666) vom Rödingsmarkt
Darstellende:
Beate Kiupel: Handwerkerehefrau
Dieter Schmitt: Ratsherr
Thomas Karallus: Pastor
Herma Koehn: eine Frau aus dem Volk
“Züchtigt ein Mann seine Frau, oder schlägt er sie, wenn sie es verschuldet hat, das darf er wohl tun.” (Hamburger Stadtrecht von 1270)
Darstellender:
Dieter Schmitt als Gattinnenmörder Hans Gorrier, hingerichtet am 18.4.1586 auf dem Hopfenmarkt
“… dass sie keine Hülfe hätte rufen können”.
Verzweiflungstat: Kindesaussetzung und Kindesmord.
Darstellende:
Thomas Karallus: *Jobst von Overbeck (gest. 1713), Spender einer “Babyklappe”
Beate Kiupel: Kindesaussetzerin
Herma Koehn: eine Frau aus dem Volk
“Trotz Fleiß keinen Preis.”
Fischhökerin auf dem Hopfenmarkt
Darstellende:
Herma Koehn: Fischhökerin
“Du kannst deinen Körper nicht verkaufen, ohne dich selbst zu verkaufen.”
Darstellende:
Beate Kiupel: Prostituierte
Thomas Karallus: erster Freier
Dieter Schmitt: zweiter Freier
Der Text des von Beate Kiupel gesungenen “Hamburger Hurenlieds” ist entnommen aus: Klabund [eigentlich Alfred Henschke]: Morgenrot! Klabund! Die Tage dämmern! Gedichte. Aus der Sammlung “Bücher für Armee und Marine” zur freien Verfügung der Mannschaften gestiftet von Lesern der Wochenschrift “Die Hilfe”, Berlin 1913, S. 34f.
Verfolgt, entrechtet und getötet
Darstellende:
Thomas Karallus: Ehemann von Katharina Corleis (1877-1935), Mitglied der in der NS-Zeit illegalen SPD, von der Gestapo ermordet
Herma Koehn: Mutter des verfolgten Homosexuellen Hans Knuth (1907-1945)
Dieter Schmitt: Beamter des Wiedergutmachungsamtes Hamburg
Beate Kiupel liest die Leidensgeschichte des ins KZ Theresienstadt deportierten Heinrich Mayer (1866-1942)
Der Text der Szene über den verfolgten Homosexuellen Hans Knuth schrieb Jens Michelsen (†).
Biographie Heinrich Mayers, in: Ulrike Sparr: Stolpersteine in Hamburg-Winterhude. Biographische Spurensuche. Hamburg 2008; S. 156ff.
Musikstück “Nicolai I”. Komposition: Ulrich Kodjo Wendt; Krischa Weber - Cello; Ulrich Kodjo Wendt - Diatonisches Akkordeon
Zwischenmusik “Klavierbake”:
Komposition und Piano: Ulrich Kodjo Wendt
“Mein Haus wurde verwundet”
Bombadierung Hamburgs im Juli 1943
Darstellende:
Herma Koehn: Frau Rieck
Thomas Karallus: Wolfgang Starke
Brief von Frau Rieck und Gedicht von Wolfgang Starke, aus: Rita Bake (Hrsg.): “aber wir müssen zusammenbleiben”. Mütter und Kinder in Bombenkriegen 1943 bis 1993.
Gespräche. Hamburg 1993, S. 22 und 36.
Von der Permanenz von Kriegen im Großen wie im Kleinen
Darstellende:
Beate Kiupel, Dieter Schmitt
Zitat von Alice Schwarzer, aus: "Alice Schwarzer: Krieg - Was Männerwahn anrichtet und wie Frauen Wiederstand leisten. Frankfurt a. M. 1982, S. 8f.
Musikstück “Nicolai 2”. Komposition: Ulrich Kodjo Wendt; Krischa Weber - Cello; Ulrich Kodjo Wendt - Diatonisches Akkordeon
Automatisches Spiel (Stundenmelodie) des Carillon im Mahnmal der St. Nikolai-Kirche